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IGF25: Wer schaut der Tech-Branche in Konfliktzonen auf die Finger?

IGF25: Wer schaut der Tech-Branche in Konfliktzonen auf die Finger?

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Inhaltsverzeichnis

IT-Firmen gehören heute zu den wichtigsten Providern in Konfliktzonen. Können sie zur Verantwortung gezogen werden, wenn ihre Produkte und Dienste gegen internationales humanitäres Recht und Grundrechtsgarantien verstoßen? Nicht so einfach, befand eine Runde beim 20. Internet Governance Forum der Vereinten Nationen in Oslo.

Die Einhaltung von Grundrechtsgarantien weltweit gehört zu den Grundprinzipien des IGF, das seit zwei Jahrzehnten an den Themen Meinungs- und Versammlungsfreiheit, Vertraulichkeit und Recht auf gleichberechtigten Zugang zu digitalen Ressourcen arbeitet. Eingelöst haben die beim IGF vertretenen Regierungen und IT-Player ihre Versprechen aber nur unzureichend, ist auf der aktuellen IGF oft zu hören.

Beihilfe zu Kriegsverbrechen durch Soft- und Hardware?

Fast 1500 Einzelfälle zu Tech-Unternehmen, die in Konfliktzonen agierten, hat die Nichtregierungsorganisation Business and Human Rights Resource Centre (BHRRC) in den vergangenen zehn Jahren gesammelt.

"Unsere Daten zeigen, Techfirmen sind heute ein maßgeblicher Player in modernen Konflikten", rekapitulierte Meredith Veit vom BHRRC. Die Big Tech-Branche profitiere nicht nur von Konflikten, "sie verschärfen und verschlimmern sie. Sie schüren Gewalt, in manchen Fällen geht dies bis zu Kriegsverbrechen und gravierenden Verletzungen von Menschenrechten", so Veit.

Marwa Fatafta von Access Now berichtete in Oslo von direkten Verletzungen von essentiellen Grundrechten durch die Firmen, etwa Zensur, oder auf Bestellung einer Regierung vorgenommener Diskriminierung, etwa bei nur für die jüdische Bevölkerung vorgesehenen Karten von Google Maps. Nach Ihrer Ansicht zu Mittätern werden Unternehmen, wo sie direkte Unterstützung für eine Truppe leisten, der Kriegsverbrechen vorgeworfen werden.

Die Militarisierung der Techfirmen, die ihre Ethikklauseln aufgegeben haben, zeige sich, wenn Führungspersonen von Meta, OpenAI und Palantir als US Army-Reserveoffiziere ins sogenannte "Executive Innovation Corps" aufgenommen werden.

Fehlende Transparenz

Ein großes Problem für die Aktivisten ist die fehlende Transparenz von Geschäften und die mangelnde Bereitschaft der Firmen, sich Fragen über ihre mögliche Verantwortung zu stellen.

Der größte Pensionsfonds von IGF-Gastgeber Norwegen, KLP, zeigt einen Weg auf, auf die besorgniserregende Entwicklung zu reagieren. Laut Kiran Aziz von KLP geht man dort Berichten von Whistleblowern und Aktivisten regelmäßig nach. "Natürlich geht es dem Fonds um eine gute Anlage", sagt sie. Allerdings sei gerade für eine langfristig denkende Organisation auch die Risiken zu kalkulieren. "Dazu gehört auch der Blick auf die Einhaltung von Menschenrechte, wenn man über ein Investment entscheidet", sagt sie.

Wie den Aktivisten gelingt es aber selbst dem Fonds nur selten, entsprechende Firmen zu einer Erklärung zu bewegen. Die in den USA ansässigen großen Tech-Provider sind besonders harte Nüsse.

In vielen Fällen zieht der Fonds dann sein schärfstes Schwert: "Wir nehmen die Firmen aus unserem Portfolio." Es sei das letzte Mittel, aber "wir wollen nicht Gefahr laufen, uns selbst der Beihilfe zu solchen Rechtsverletzungen schuldig zu machen", sagte Aziz in Oslo. Der Fonds habe bereits zahlreiche Firmen, in der Vergangenheit eher klassische Waffenhersteller, aus dem Portfolio genommen.

Unterstützung durch Gesetze notwendig

Obwohl das Beispiel von KLP viel Aufmerksamkeit erhalte, seien die Mittel des Fonds letztlich begrenzt, bedauerte Aziz. Letztlich warten die Fonds, auf klare Richtlinien ihrer Aufseher. Der in Norwegen wegen seiner legeren Human Rights Due Diligence-Politik in der Kritik stehende Staatsfonds ist der Finanzaufsicht, beziehungsweise dem Finanzministerium unterstellt.

Es sei bedauerlich, sagte Aziz, beim IGF in Oslo, dass die zuständigen Behörden sich aus der Verantwortung stehlen. "Man schiebt die Hauptverantwortung auf Investoren und Wirtschaft ab."

In der Luft hingen letztere dann etwa bei der Frage, welche Nachweise erforderlich sind, um Verstöße festzustellen. Hier bräuchte es zusätzliche gesetzliche Normen, etwa eine Beweisumkehr.

Auf Anfragen zu möglichen Nachbesserungen erklärte sich die norwegischen Digitalministerin Kariane Tung gegenüber heise online nicht zuständig. Das Finanzministerium blieb bislang eine Antwort schuldig.

Verantwortung vor dem internationalen Strafgerichtshof

Vor Gericht mussten sich bislang nur wenige Firmen für die Mittäterschaft in Konfliktzonen verantworten, bedauern die Aktivisten. Vorerst können Verfahren am ehesten auf Basis nationaler Regeln vorangetrieben werden. Ein Beispiel dafür ist die kürzliche Verurteilung eines syrischen Aztes durch das Oberlandesgericht Frankfurt wegen Kriegsverbrechen.

Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof, der etwa das Genozid-Verfahren gegen Israel auf dem Tisch hat, unterliegen hohen Hürden, sagt Chantal Joris von der NGO Article 19. Allerdings arbeite der Den Haager Gerichtshof gerade an der Frage, ob und wie IT-Unternehmen beziehungsweise deren Manager künftig auf Basis des für seine Verfahren einschlägigen Rome Statuts belangt werden können.